"Er ist einer der umstrittensten
Theologen des Hochmittelalters und zugleich einer, den zu lesen und in
dessen Gedankenwelten einzutauchen heute notwendiger ist denn je.
Meister Eckhart war zweifellos ein Grenzgänger. Von mystischer
Tiefenschärfe und zugleich von leuchtender Klarheit sind seine Gedanken,
die er so prägnant zu vermitteln verstand, dass er mit seinen Predigten
nicht nur gebildete Theologen erreichte.
„Barmherzigkeit bekleidet die Seele mit dem Kleid Gottes“, ist einer
dieser Sätze, deren Wahrheit warm ist, wie der Mantel der Liebe, von dem
umhüllt der visionäre Theologe sein Wesen dem Licht zuwandte, das
unerreichbar nah den Mittelpunkt seines Betens und Denkens bildete.
Das renommierte Ensemble Cosmedin hat dem Theologen eine CD gewidmet,
die sich in Text und Musik der Gedankenwelt des Mystikers annähert. Mehr
noch: Stephanie und Christoph Haas schaffen in dieser Einspielung einen
Erfahrungsraum, in dem die Zuhörenden selbst diese Annäherung wagen
können. Dass sie denen, die mit wachen Ohren zu hören verstehen,
gelingen kann, ist ohne Zweifel. Denn hier wird nicht einfach nur auf
höchstem Niveau musiziert und rezitiert. Es wird vielmehr glaubhaft
verkündet. Das ist ungewöhnlich auf dem Feld professioneller Musiker,
die fast durchweg exzellent zu arrangieren und zu interpretieren
verstehen, auch Einfühlungsvermögen aufweisen, wenn es um liturgische
Musik geht aber dennoch oft haarscharf am Kern vorbei musizieren. Dessen
Glühen zu verpassen bedeutet aber, eine leere, zwar klangschöne aber
bedeutungslose Hülle anzubieten. Das ist auf dieser CD anders.
Stephanie und Christoph Haas singen und spielen nicht nur klangvoll,
facettenreich und sensitiv. Sie glauben und verstehen auch, was sie
musizieren und rezitieren. Letzteres wird bei allen Texten, exzeptionell
aber bei dem in mittelhochdeutsch vorgetragenen Gedicht „In dem begin“
deutlich. Stephanie Haas spricht die alte Sprache völlig natürlich, ohne
theatralisches Pathos, genauso, wie der Dichter sie, dem Quell seiner
Inspiration lauschend, seinen Hörern im 14. Jahrhundert vorgetragen
haben mag. Und auch die Texte Meister Eckharts klingen so frisch, als
wären sie vom Dichter eben erst gefunden worden. Die exquisite
Musikalität des Ensembles wird durch die exzellente Tontechnik
maßgeblich unterstützt.
Die CD, deren Titel „Liebe kennt kein Warum“ dem gleichnamigen Text
Meister Eckharts entnommen ist, kombiniert gut ausgewählte Texte Meister
Eckharts mit liturgischer Musik des Mittelalters und instrumentalen
Improvisationen und Kompositionen. In ihnen schafft Christoph Haas
Klanggewebe, die das Denken Meister Eckharts in tönende Lichtfäden
übersetzen. Der Musiker und Komponist zeigt auch auf dieser CD seine
bemerkenswerte Fähigkeit, Zeitgeschichte, in diesem Fall das Leben,
Denken und Beten Meister Eckharts, in Klang umzusetzen. Dabei entstehen
Klangräume von einer tiefen Ruhe, deren Tönen langsam im Tiefenraum
des Unhörbar Gegenwärtigen verklingt, es werden aber auch jene
scharfen Dissonanzen hörbar, die ebenfalls Teil des Lebens des
hochgelehrten und umstrittenen Dominikaners sind. Stephanie Haas überzeugt wie immer mit
ihrer warmen, farbenreichen, die gesamte emotionale Bandbreite der
Gesänge übermittelnden Stimme, mit der sie die alten Gesänge zu neuem
Leben erweckt.
Die meisten der Gesänge stammen aus dem Erfurter Rituale, einer
Handschrift, die der Kanoniker und Kantor Conrad von Rode 1301 für den
Gebrauch des Priesters an der Erfurter Benediktskirche anfertigen ließ.
Das Rituale spiegelt die liturgische Situation jener Zeit, in der auch
Meister Eckhart in Erfurt lebte, und gibt den Hörern Gelegenheit, sich
in sein Singen und Beten einzuschwingen. Die Gesänge entstammen der
altrömischen Tradition und spiegeln auch manchen liturgischen
Inkulturationsprozess wie beispielsweise durch die Einbeziehung des
„Adorna thalamum“, eines Prozessionsgesanges, der aus der
griechisch-orthodoxen in die lateinische Liturgie übernommen wurde. Dass
dieses Rituale bis heute erhalten geblieben ist, gab Stephanie und
Christoph Haas die Chance, dieses einzigartige liturgische Dokument
wieder hörbar zu machen." (Dr. Barbara Stühlmeyer,
August 2018) |